Wir schreiben das Jahr 1988 und die EU hat eine Vision namens X-10. Der Fall von Mauer und Eisernem Vorhang scheinen undenkbar, und in Genf hat der Computerwissenschafter Tim Berners-Lee noch keine Ahnung davon, dass er demnächst eine Weltrevolution namens World Wide Web anzetteln wird.
Darum bastelt die EU an einer anderen Revolution: Intelligente Häuser, die eine Sprache namens X-10 sprechen sollen. Eile ist geboten im Wettlauf mit Amerika und Japan, die gleichfalls Standards für so genannte intelligente Häuser entwickeln, und dem Ersten, der durch das Standardisierungsziel geht, winkt ein Weltmarkt.
Die Grundidee von X-10: Stromkabel haben künftig vier Adern, zwei für Strom und zwei für Information, und Steckdosen vier Löcher, und wenn ein Gerät angeschlossen wird kann es nicht nur Strom sondern Steuerungsinformation beziehen. Wenn hingegen der inquisitive Junior eine Stricknadel in die Steckdose steckt weiß diese, dass es sich um ein Versehen handeln muss, der Stromschlag bleibt aus.
10 Jahre später eröffnet Cisco in Warford, einem unauffälligen Vorort von London, das Real Internet Home mit einem Serverschrank im Keller, 70 Ethernetverteiler im ganzen Haus und vernetzten Geräten, Heizung, Licht und Alarmanlagen. Der Immobilienentwickler Laing Homes erwartete sich einen Schub an neuen hochwertigen Häusern, mit denen er bald England und dann den Kontinent überziehen will.
Die schöne Vorstellung: „Der vernetzte Kühlschrank sorgt selbstständig für Nachschub, wenn die Milch für den morgendlichen Kaffee ausgeht; die intelligente Stromanlage ermöglicht dem E-Werk monatliche Verbrauchsabrechnungen mit Auflistung der einzelnen Geräte; personalisierbare Haussteuerungen passen Temperatur, Licht und eingeschaltete Geräte automatisch und unter Berücksichtigung der Umweltbedingungen auf die Bedürfnisse des Bewohners an. Nicht zu vergessen: Zum Arbeiten geht der intelligente Bewohner intelligenter Häuser nicht mehr ins Büro, sondern verlagert entweder alles nach Hause oder benutzt frei flotierende ‚Workspaces“, beschrieb Heise.de die Vision vom Internet Home.
Aber mit dem Aufbruch ins neue Millennium wurde das Internet Home in Watford ganz unzeremoniell und unvernetzt um 750.000 Pfund verkauft, ganz ohne Intelligenz die den Kaufpreis noch in die Höhe getrieben hätte. Laing Homes übernahm nur eine Low-Tech-Erfindung für künftige Projekte: Die riesige Zustellbox neben der Eingangstür, bei der Online-Händler Pakete deponieren können, wenn niemand zuhause ist.
Dann hörte man von intelligenten Häusern eine Zeitlang nicht mehr ganz so viel, obwohl vernetzte Waschmaschinen und Internet-Kühlschränke und Online-Kaffeemaschinen immer wieder schöne kleine Geschichten abwarfen.
Fast forward zur IFA 2015: Das „Smart Home“, wie intelligente Häuser und Internet Homes inzwischen bevorzugt heißen, darf auf vielen Messeständen renommierter Anbieter wie smarter Nischenproduzenten nicht fehlen. Bei Samsung wird der Besucher durch die mirakulösen Möglichkeiten von „IoT“, des Internet of Things, geführt, wie der Überbegriff für die vielen „Smart“-Entwicklungen heißt, die durch vernetzte Objekte, Geräte und Maschinen möglich sind. Von der Türsperre bis zur Klimaanlage, dem Staubsaugroboter und der Waschmaschine, die automatisch Waschmittel nachbestellen und Servicetechniker rufen kann: Alles kommuniziert. Wie auch der Siemens-Kühlschrank, der ein Foto von seinem Innenleben aufs Handy schickt, wenn man vergessen hat sich vor dem Weggehen eine Einkaufsliste anzulegen.
Am Stand der Deutschen Telekom — Mutter von T-Mobile — steuert ein Tablet durch die Möglichkeiten des intelligenten Heims, bei dem die App kontrolliert ob alle Fenster geschlossen sind, das Radio ausgeschaltet oder Heizung und Lichter eingeschalten werden, bevor man den Heimweg antritt. Gottbehüt ein Einbrecher dringt in unser Smart Home ein: Die sensorgesteuerte HD-Cam alarmiert die Bewohner und schickt ein fahndungsfähiges Foto aufs Handy, verständigt die Polizei, löst den Alarm aus. Nur eine Gegensprechanlage fehlt noch, um Einbrecher oder Einbrecherin höflich aber bestimmt zum Verlassen der Wohnung aufgefordern zu können. Dafür sorgen bei Samsung Bewegungssensoren für gefährlich klingendes Hundebellen, das wohl manchem ungebetenen Gast fernhalten kann.
Alles nur ein Replay des letzten Jahrzehnts des vergangenen Jahrhunderts, dem bald wieder die Ernüchterung folgen wird? Eher trifft auf „Smart Homes“ die Entwicklungskurve zu, die viele technische Entwicklungen charakterisiert: Anfänglicher Hype, abgrundtiefe Enttäuschung, fahrlässige Unterschätzung, und plötzlich massenhafte Verbreitung. Noch ist das Smart Home ein Bastlerjob für techaffine, meist männliche early Adapters. Die meisten der heute praktikablen Anwendungen sind Stromsteuerungen: Sie helfen Energie zu sparen, ein kaltes Haus zu wärmen bevor man nach Hause kommt, steuern Alarmanlagen. Durch „smarte“ Steckdosen — über App kontrollierbar — können vorhandene Geräte einbezogen werden, wie ein Radio, aberdie Steuerung beschränkt sich auf Ein- und Ausschalten. Erst neue, Chip- und Sensorgesteuerte Gerätegenerationen können darüber hinaus Nutzen bringen.
Aber eine Reihe wesentlicher Voraussetzungen hat sich seit dem letzten Auftritt intelligenter Häuser und Internet Homes geändert. Internet und das dahinter stehende technische Protokoll sind ein weltweiter Standard, auf den ebenso aufgebaut werden kann wie auf WiFi und Bluetooth und ein immer präsentes Mobilfunknetz, um Geräte zu vernetzen. Chip- und Sensortechnologie haben enorme Fortschritte bei dramatisch reduzierten Kosten gemacht. Smartphones und Apps ermöglichen universelle Steuerungen. Menschen haben gelernt, mit dem Konzept von „Smart“ zu leben.
Das Smart Home wird in kleinen Dosen und nicht mit einem Big Bang erscheinen, wie es sich seinerzeit die Entwickler des Internet Homes in Warford vorgestellt haben. Zuerst ein „Hub“ um ein-, zweihundert Euro, der im Zentrum der Vernetzung steht. Dann ein Thermostat um 40 Euro, um die Wohnungstemperatur von der Ferne zu kontrollieren, Fensterkontakte um wenig Geld, um zu kontrollieren ob die Fenster zu sind. Zwischenstecker, um Lampen oder Radio zu steuern, nach und nach Geräte, die sich in dieses Netz einklinken können. So sind die Szenarien vorstellbar, mit denen unser Daheim nach und nach steuerbar wird.
Der Beitrag Smart Homes: Langer Weg zum g’scheiten Heim erschien zuerst auf 0676 Blog T-Mobile Austria.